Berlin, Istanbul Next wave

Teil zwei unseres Artikels über Islamische Bilderwelten, die gleich von zwei große Ausstellungskomplexen ausgestellt werden

Künstlergruppen wie Hafriyat Karaköy oder Atil Kunst suchen sich ihren Freiraum in einer immer noch sensiblen Öffentlichkeit, die durch dogmatische Religionsangehörige oder Verfechter des Nationalstaates noch immer Restriktionen unterworfen ist. Solche Arbeiten erringen meist mehr Anerkennung in der internationalen Kunstwelt als zu Hause.
Die Kuratoren Levent ?alikolu, ?etin Güzelhan, Beral Madra und Johannes Odenthal haben mit „Istanbul Next Wave“ einen dreiteiligen Ausstellungskomplex entworfen, der einen geschichtlichen Abriss der Kunst in der Türkei seit Beginn des 20.
Jahrhunderts und ausgewählte gegenwärtige Positionen türkischer Provenienz zeigt. Dabei ist bemerkenswert, welch wichtige Rolle die Künstlerinnen einnehmen, denen ein ganzer Themenkomplex gewidmet wird. „Boden unter meinen Füßen, nicht den Himmel“, riefen im Mai 1987 feministische Demonstrantinnen in Is­tanbul. In Anlehnung an das Sprich­wort, in dem die „mit beiden Beinen im Himmel
stehenden“ Mütter heilig gesprochen und von den „weltlichen“ oder gar
„verruchten“ Frauen abgegrenzt werden, for­mier­te sich der Beginn einer feministischen Bewegung, die sich gegen diese Rollenzuweisung auflehnte. Eine Selbstverständlichkeit sei dieser „Boden unter den Füßen“ nach über 20 Jahren noch immer nicht, schreibt Kuratorin Beral Madra im Katalog, auch wenn die Beziehungen zur EU vor dem Hintergrund des angestrebten Beitritts Kunst und Kultur in Istanbul für immer verändert hätten.
Arbeiten von 17 Künstlerinnen verschiedener Generationen hat sie für die Ausstellung in der Akademie der Künste ausgesucht. Was diese Künstlerinnen gemeinsam haben, sind Umtriebigkeit und ausgeprägte Individualität, Provokation und gesellschafts­politisches Engagement. Ihre Themen sind unter anderem Geschlechterrollenzuweisungen und patriarchalische Familienstrukturen, Religion, Konsum, Medien­bilder, Kulturimperialismus, Gentrifizierung und Zensur. Dabei schöpfen die Künstlerinnen auch nicht selten aus dem eigenen privaten Umfeld. Nazan Azeri filmte das Hochzeitskleid ihrer verstorbenen Mutter, wie es zwischen
den Ästen eines Baumes flattert. Sie spiegelt damit nicht nur ihre persönliche Trauer, sondern lässt dieses starke Symbol der Unschuld, an dem der Wind zerrt, auch für sich sprechen. „Istanbul Next Wave“ ist ein >strong>Gemeinschaftsprojekt der Stadt Istanbul und der Akademie der Künste und bildet den Höhepunkt der Berliner Veranstaltungen zum 20. Jubiläumsjahr der Städtepartnerschaft Berlin–Istanbul.
Text: Constanze Suhr / Foto: Nazan Azeri